Amerie – Interview am 15. Juni 2005 in Berlin

rap2soul: Wieso liegen fast drei Jahre Abstand zwischen Deinem Debüt und dem zweitem Album?

Amerie: Diese lange Pause war nicht beabsichtigt. Sie entstand, weil ich, unmittelbar nachdem das Album fertig war, auf Tour ging und kurz darauf das Angebot bekam, eine Fernseh-Show zu machen. Das tat ich und bekam gleich im Anschluss ein Filmangebot. Im Film „First Daughter“ von Regisseur Forest Whitaker habe ich neben Katie Holmes und Michael Keaton gespielt. Danach habe ich anderthalb Jahre am neuen Album gearbeitet. Es hat also etwas länger gedauert, war aber, wie gesagt, nicht beabsichtigt.

rap2soul: Wo siehst Du entscheidende Unterschiede zwischen Deinem Debüt und „Touch“?

Amerie: Nach dem ersten Album hatten alle von mir den Eindruck der „netten, schönen Frau“. Sicher, das ist ein Teil von mir, aber eben nicht alles. Deshalb wollte ich diesmal etwas mehr von mir zeigen. Ich hoffe, dass dieses Album gut ankommt. Ich auf jeden Fall liebe es. Zugegeben, das sagt jeder Künstler, auch wenn nicht jeder es wirklich so meint. Ich aber meine es ehrlich, weil ich das Gefühl habe, dass es im Gegensatz zum ersten Album mehr von mir zeigt. Ich glaube, es repräsentiert mich wirklich. Wenn man es live spielt, spürt man das noch viel deutlicher.

rap2soul: Was genau meinst Du mit der “anderen Seite” von Dir, die Dein zweites Album zeigt?

Amerie: Feiern zu können, Spaß zu haben, Energie und mehr Tempo. Beim ersten Album hörte ich häufig, das Album sei gut, aber ich sei ja in Wirklichkeit ganz anders, viel lebendiger. Auf dem Album wirkte ich so ernst. Stimmt schon, aber man sah eben nur diese eine Seite von mir. Ernsthaft bin ich vor allem im Privatleben, wenn ich allein oder mit guten Freunden zusammen bin. Aber ich kann auch sehr aus mir rausgehen. Und ich denke, dass dieses Album das mit seiner Energie vermittelt. Dass ich eben auch eine andere Seite habe. Ich denke, dieses Album spiegelt meine Persönlichkeit besser wieder.

rap2soul: Fühltest Du Dich beim zweiten Album unter Druck gesetzt durch den Erfolg Deines Debüts?

Amerie: Offen gesagt empfand ich keinen Druck. Ich hatte beim ersten Album das Gefühl, dass da noch viel Raum für Wachstum ist. Irgendwie hatte ich da nur an der Oberfläche gekratzt. Es gab aber noch so vieles mehr zu erzählen. Deshalb stand ich nicht vor der Frage: und was mache ich jetzt? Es war nur eine andere Herangehensweise. Ich wusste genau, was ich wollte, in punkto Musik, Texte und so weiter.

rap2soul: Warum hast Du bei „Touch“ die Rolle der Executive-Produzentin übernommen?

Amerie: Weil ich wollte, dass mich dieses Album wirklich repräsentiert. Deshalb habe ich die A&R Arbeit übernommen, gemeinsam mit Lenny und dafür gesorgt, das alles gut läuft und ich in jeden Arbeitsschritt involviert bin, bis hin zu den Videos. Das war mir wichtig, weil ich eine klare Vorstellung davon habe, wie es klingen und aussehen soll. Selbst mein Outfit auf dem Cover entstand nach einem Schnittmuster, das ich in einem großen Modemagazin gesehen hatte und so klasse fand, dass ich es unbedingt haben wollte.

rap2soul: Was kannst Du zu Deinem Debüt als Schauspielerin im Film “First Daughter” sagen?

Amerie: Das war klasse. Es ist schon lustig, hier läuft gerade „Batman Returns“ an, und in meinem ersten Film habe ich an der Seite von Katie Holmes gespielt. Es war großartig, ich hatte keine Angst, es war ja mein erster Film. Niemand erwartete etwas von mir. Natürlich war ich bei den Proben und so weiter. Aber es einfach ein großer Spaß. Inzwischen mache ich mir viel mehr Sorgen, wenn ich an den nächsten Film denke. Denn alle waren ziemlich begeistert von mir und werden beim nächsten Mal natürlich viel mehr aufpassen, was ich mache. Insofern kann ich auch die Ängste verstehen, die man beim zweiten Album hat. Ich hingegen hatte das Gefühl, dass ich noch viel zu sagen habe. Der Film hat Spaß gemacht, ich habe mit Michael Keaton gearbeitet und viel von ihm gelernt. Da ich keine Erwartungen hatte, war es ein großer Spaß. Aber jetzt, wo man etwas von mir erwartet, ist das schon beängstigend.

rap2soul: Fernsehen, Schauspielerei, Gesang, Komponieren, Produzieren – wie schaffst Du es, so vielseitig zu sein?

Amerie: Danke schön. Klingt ja so, als wäre das alles riesig. Ich weiß nicht, aber wahrscheinlich sind die meisten kreativen Menschen so. Ich kenne viele Künstler, die singen, rappen oder irgendein Instrument spielen und oft auch zeichnen. Ich zum Beispiel zeichne. Andere Leute malen. Oder Maler spielen ein Instrument. Jede Art von Kreativität scheint aus einer Quelle zu entspringen. Sie zeigt sich nur auf unterschiedliche Weise. Aber ich glaube, im Grunde ist es ein und dasselbe.

rap2soul: Klingt aber auch, als wäre Dein Leben voller Termine …

Amerie: Es kann manchmal recht anstrengend sein. Aber es geht doch darum, sein Ziel zu erreichen und dabei auf eigenen Füßen zu stehen. Natürlich kannst du dich zurücklehnen und das alles anderen Leuten überlassen. Aber dann hast du weiniger Kontrolle darüber. Mehr Kontrolle bedeutet mehr Verantwortung, Stress und Verpflichtungen. Ich bin viel zu sehr ein Kontroll-Freak, als dass ich diese Dinge aus der Hand geben würde.

rap2soul: Wie steht es mit Deinem Privatleben? Bleibt Zeit für einen Freund?

Amerie: Ich spreche eigentlich nicht gerne über mein Privatleben, aber ich denke, dass selbst bei viel Arbeit Zeit bleiben sollte für einen besonderen Menschen. Manchmal ist das schwer. Wie gesagt, ich komme häufig nicht einmal zum Essen. Bei meinem letzten Projekt hatte ich ein bisschen zugenommen, nicht viel, nur ein Kleidergröße. Ich wog 100 Pfund, keine Ahnung, wie viel Kilo das sind. Ein klasse Gewicht. Aber dann verschwand alles wieder. Ich muss aufpassen, dass ich genug esse, sonst verschwinde ich noch. Ich will nicht aussehen wie so ein Spazierstock. Ich mag Kurven. Aber das wird schon, ich muss halt einfach etwas essen.

rap2soul: Was kannst Du zur Zusammenarbeit mit Rich Harrisson, Deinem Produzenten, sagen?

Amerie: Nun, unser Verhältnis ist großartig. Wir arbeiten sehr gut zusammen. Egal wie lange wir gemeinsam im Studio sind, und meist ist das gar nicht so lange, können wir beim nächsten Mal genau da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Wir haben sehr ähnliche Vorstellungen wenn es um Arrangements etc. geht. Wir müssen einander nicht viel erklären, weil wir meist wissen, was der andere denkt.

rap2soul: Wie war die Arbeit mit Lenny Nicholson, Deinem Produktionspartner?

Amerie: Ich habe anderthalb Jahre am Album gearbeitet. Zwischendurch war ich mehrfach in Miami. Lenny arbeitete zu der Zeit mit Nas und half ihm beim Album „Stillmatic“ und allem, was danach kam. Kelis tauchte ab und zu auf. Ich beobachtete, was im Studio vor sich ging. Mir gefällt, wie Rapper an die Arbeit gehen. Bei Sängerinnen denken alle immer, wir bräuchten jemand, der uns leitet. Man gibt uns gar nicht erst eine Chance, nur weil wir Frauen sind. Abgesehen davon, dass ich mir nicht gerne sagen lasse, was ich zu tun habe oder nicht, bedeutet es noch lange nicht, dass ich mein eigenes Album nicht produzieren kann, nur weil ich eine Frau bin. Also habe ich Nas bei der Arbeit beobachtet, der meist mit seinem Toningenieur da war. Er arbeitet oft nur mit ein oder zwei Personen eng zusammen und nutzt verschiedene Produzenten. Ist kein Produzent dabei, erledigt er den Job selbst. Diese Selbstständigkeit gefällt mir. Ihm redet keiner rein, er macht sein eigenes Ding und folgt dabei seinem Gefühl. Es ist nämlich nicht leicht, sich konzentrieren, wenn dir andauernd jemand Ratschläge gibt. Man muss sich öffnen, auch Fehler zulassen, um diese selbst zu beheben. Für mich war klar: so möchte ich mein Album machen. Rich und ich sind alte Freunde, wir vertrauen uns und arbeiten gut zusammen. Viele der Songs, die ohne seine Mitarbeit entstanden, habe ich selbst gemacht. Von ein paar Ausnahmen abgesehen, waren nur Lenny, der Toningenieur und ich im Studio. Ein wunderbares Arbeiten. Rappern redet man selten in die Arbeit, Frauen aber bekommen dauernd gesagt, was sie tun sollen. Ich bin oft auf Widerstand gestoßen, wenn ich anderer Meinung war. Schon seltsam, dass diese Haltung noch immer existiert.

rap2soul: Werden Sängerinnen noch immer bevormundet?

Amerie: Ja, aber es gibt auch eine Menge starker Frauen, die genau wissen, was sie wollen und das auch tun, etwa Beyonce, Alicia Keys, Missy, Lauryn Hill.

rap2soul: Beyoncé, Alicia, Missy – siehst Du sie als Konkurrentinnen oder Kolleginnen?

Amerie: Sie sind eher Kolleginnen. Natürlich gibt es in jeder Branche Wettbewerb, das liegt in der Natur der Sache, egal ob man CDs, Telefone, Kopierer oder Autos verkauft. Bei Kunst ist das aber vielleicht ein bisschen anders. Ich mag dieses Gemeinschaftsgefühl unter Künstlern. Es ist klasse, wenn man seine Erfahrungen mit anderen Künstlern austauschen kann, insbesondere Künstlerinnen, die ähnliches erlebt haben. Man unterstützt sich gewissermaßen gegenseitig.

rap2soul: Stimmt es, dass Du schon als Kind Sängerin werden wolltest?

Amerie: Ich wusste immer schon, dass ich Sängerin werden wollte. Als Kind allerdings wollte ich auch Archäologin, Polizistin, Detektiv, Autorin, Rechtsanwältin und Lehrerin werden. Ich war nicht das typische Künstlerkind, das von seinen Eltern in den Beruf gedrängt wird. Meine Eltern waren vielmehr um meine Bildung bemüht. Ich habe hier und da ein paar Talentwettbewerbe mitgemacht, wurde aber nie dazu gedrängt. Während des College merkten meine Eltern, dass es für mich mehr als nur ein Hobby war. Als ich ihnen gestand, dass ich professionell singen will, waren sie zunächst besorgt. Sie sahen, dass ich es ernst meine, wussten aber auch, dass nicht jeder es schafft und wollten mir diese Enttäuschung ersparen. Außerdem hatte ich gute Noten und sollte weiter studieren. Aber dann sahen sie, dass es funktioniert. Seitdem sind sie meine größten Unterstützer. Schon verrückt, immerhin kannte ich niemanden in der Musikbranche. Mein Vater meinte, ich hätte entweder großes Gottvertrauen oder sei einfach naiv. Das war schon in der Schule so. Ich habe zum Beispiel nie einen Lebenslauf verfasst, weil ich irgendwie nie daran glaubte, dass es mit meinen Plänen nicht klappen könnte. Es war weniger das Vertrauen in Gott, ich war da einfach ziemlich dumm. Deshalb rate ich heute jedem, sich um einen Lebenslauf zu kümmern. Man kann nie wissen.

rap2soul: Dein Vater war bei der US-Army. Du musstest als Kind oft umziehen. Wie hat Dich das geprägt?

Amerie: Ich war sehr extrovertiert, weil wir so oft umzogen. Das hat einen Teil meiner Persönlichkeit geprägt. Aber mir hat das häufige Umziehen auch gefallen, denn auf diese Weise wurde es nie langweilig. Ich habe sogar eine Zeit lang in Deutschland gelebt, für dreieinhalb Jahre in der Nähe von Butzbach. Mein Vater war in Butzbach stationiert, in der Nähe von Gießen. Wir lebten aber nicht auf der Base, sondern in einem sehr kleinen Ort namens Dorf Güll. Den Namen hatte ich fast fünfzehn Jahre lang vergessen, er ist mir gerade wieder eingefallen. Es war eine schöne Zeit. Wir hatten täglich Deutschunterricht und ich mochte Brötchen sehr gerne. Eine tolle Erfahrung. In Amerika können nur wenige Kinder so viel reisen, es sei denn ihre Eltern haben einen entsprechenden Beruf oder sind beim Militär. Es erweitert deinen Horizont. Für mich ist es immer wieder etwas Besonderes, nach Deutschland zurückzukehren, weil ich so viele Erinnerungen damit verbinde.

rap2soul: Wie sehen Deine Zukunftspläne aus in punkto Familie und Kinder?

Amerie: Oh, dafür ist noch viel Zeit. Ich hab mir immer gesagt, mit dreißig Jahren kann ich heiraten und Kinder haben. Oder mit zweiunddreißig, oder sechsunddreißig. Oder geht das vielleicht noch mit vierzig? Inzwischen denke ich nicht mehr darüber nach. Wenn es passiert, ist es gut so. Bis zu meinem ersten Album, verlief mein Leben immer sehr nach Plan. Ich war schon in der Schule so, musste immer alles genau planen, bevor ich etwas tat. Mein ganzes Leben war sehr organisiert. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass man sich ab und zu auch mal treiben lassen muss, flexibel sein muss, die Richtung ändern muss, denn man kann nicht alles kontrollieren. Deshalb, warten wir es ab.

Interview geführt von SONY BMG – Berlin 15. Juni 2005