Governor – Son Of Pain

Was können wir uns unter einer R&B-Version des Rappers T. I. vorstellen? So preist ihn sein Boss an und sein Boss ist T. I. Ganz treffend an der Beschreibung ist, dass Governor Hip-Hop-Elemente in seinen Sound integriert und er alles andere als weichgespült, sondern eher rau wirkt. R&B-Sound, der nicht zu sehr geschliffen ist, setzt sich seit ein paar Jahren durch: Lyfe Jennings, Anthony Hamilton, Anthony David, Jaheim sind nur ein paar der Namen, die für eine Nische stehen, die fast schon aufgehört hat, bloß eine Nische zu sein.

So schön honigsüßer, sanfter, glatt polierter Soul oft ist, so spüren immer mehr Black Music Fans in sich das Bedürfnis, sich öfter mal was Herzhaftes zu gönnen, etwas mit Biss. Das finden sie auf „Son Of Pain“, dem offiziellen Debüt von Governor.

Der ist schon einige Jahre im Geschäft, hat die 30 längst überschritten und durfte bereits mit Größen wie Dr. Dre, 50 Cent, Wyclef Jean und den Trackmasters arbeiten. Drei verschiedene Plattenverträge hatte er schon, nur wurde – aus unterschiedlichen Gründen – nie offiziell etwas veröffentlicht. Mit Hilfe von T. I. bringt Governor mit „Son Of Pain“ ein Album, das einerseits an 70er Jahre Soul erinnert, aber nicht ignoriert, dass Hip-Hop inzwischen eine der beliebtesten Arten von Musik ist. Auch sonst hat sich das Musikgeschäft verändert, damals, als er angefangen hat, sei wäre die Welt einfach nicht bereit gewesen für seinen Sound. Künstler wie D’Angelo hätten dafür den Weg bereitet.

Anstatt wie Joy Denalane auf ihrem „Born & Raised“-Longplayer fast nur zurück zu schauen, kombiniert Governor die alte Schule sehr geschickt mit der neuen, ohne deshalb beliebig zu wirken; im Gegenteil wirkt er sehr stilsicher. (Joy Denalane ist als Beispiel nicht zufällig gewählt, sondern deshalb, weil Governor bei ihrem Song „Something Stirrin’ Up“ zu Gast ist.) An keiner Stelle wirkt es zusammengesetzt/aufgesetzt, die Verbindung verschiedener Einflüsse klingt völlig natürlich auf „Son Of Pain“.

Während sein Sound von vielen mit großer Freude aufgenommen wird, ist es für ihn auf der inhaltlichen Ebene schwieriger. Mal wird er für intelligente Lyrics gelobt, mal wird dieser Aspekt zu einer leichten Schwäche erklärt. Zum Teil geht die Kritik darauf zurück, dass er nicht nur musikalisch keine Berührungsängste mit Hip-Hop hat. Etwas Ghetto-Feeling in den R&B zu tragen, ist halt immer noch ein Wagnis!

Zum anderen ist Governor nicht einer dieser Künstler, die gerne alles dreifach kompliziert machen und etwa drei verschiedene Künstlernamen brauchen, um unterschiedliche Persönlichkeiten zu kultivieren. Man muss sich nicht kompliziert ausdrücken, um seinen Standpunkt klar zu machen, habe ich neulich gehört. Das trifft es! Governor heißt der Mann übrigens wirklich – noch dazu Washington mit Nachnamen! – doch geboren wurde er in Virginia.

Hört man ihm zu, vermittelt Governor den Eindruck, dass er in seinem Leben so einiges mitgemacht hat, an seinen Erfahrungen aber gewachsen und erwachsen geworden ist. Governor gehört nicht zu den jungen Talenten, die einen Song zwar technisch brillant vortragen können, denen es aber einfach an Lebenserfahrung mangelt, um bestimmte Themen überzeugend zu vermitteln bzw. hier eben nur auf fremde Erfahrungen zurückgreifen können.

In „Forgive Me“ bittet er seine Freundin um Verzeihung für all die Dinge, die er tut und sie nicht mag. Gleichzeitig macht er selbstbewusst klar, dass er sich nicht ändern wird und sie damit klarkommen müsse, wenn sie mit ihm zusammenleben möchte. Anstatt sich auf unzählige Arten zu entschuldigen und die dollsten Versprechen zu geben, um anstatt seine Art zu leben zu verleugnen, vertritt er selbstbewusst seinen Standpunkt. Das ist spannend, das hört man leider viel zu selten.

Im Song darauf variiert er das Thema und fordert andere dazu auf, sie selbst zu sein, in erster Linie wohl Gangsta-Rapper oder Möchtegern-Gangster. Richtige Verbrecher, argumentiert er, tun Dinge, mit denen sich nicht in Verbindung gebracht werden wollen.

Wenn einer hingegen ständig über so was redet, fragt sich Governor, was davon überhaupt wahr sein könne. Ihm sei es einerlei, ob jemand im Ghetto aufgewachsen oder Sohn eines Pfarrers sei. Die Welt wäre wohl ein besserer Ort, wenn sich jeder mehr um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und sich trauen würde, er selbst zu sein. Als Individuum sein Gehirn zu gebrauchen, indem man eigene Gedanken denkt, das propagiert er.

Diese beiden Beispiele lassen ahnen: Herzhafte Kost bekommen wir von Governor nicht allein musikalisch, sondern auch inhaltlich. Schwer verdaulich ist sie deshalb längst nicht, auch wenn „Son Of Pain“ definitiv ein Album zum Zuhören und intensiven Fühlen ist. Mit seiner Musik füllen wir nicht bloß schnell unsere Mägen respektive unsere Ohren, sondern sättigen uns nachhaltig und vermeiden Sodbrennen.

Fazit: Bis auf wenige Ausnahmen ist das Album geradezu beeindruckend: Governor gelingt es, musikalisch tief zu den Wurzeln des Soul zu greifen, ohne sich dabei krumm zu machen, ohne die Vergangenheit zwanghaft wiederbeleben zu wollen und ohne die Bedürfnisse derjenigen Black Music Fans außer Acht zu lassen, die ihre Liebe zu Hip-Hop nicht verleugnen.

Künstler: Governor | Album: Son Of Pain | Label: Atlantic | VÖ: 12. September 2006

Über Oliver Springer 339 Artikel
Oliver Springer gehört neben Jörg Wachsmuth zu den Gründern von rap2soul. Er lernte Hörfunk ab 1994 bei JAM FM und moderierte dort fast 12 Jahre. Später war der ausgebildete PR-Berater er als Pro-Blogger tätig. Gemeinsam mit Wachsmuth entwickelte Springer den Digitalradiosender PELI ONE - Dein neues Urban Music Radio, bei dem er seit 2018 den Nachmittag in der Drive Time moderiert.