Ray J – Raydiation

Mir hat die Musik von Ray J schon 1997 gefallen, wenngleich sein erster Longplayer „Everything You Want“ recht wenig Profil hatte. Der Nachfolger „This Ain’t A Game“ war aus heutiger Sicht kein großer Schritt nach vorne, doch mit seinem dritten Album „Raydiation“ vermag der Künstler zu überzeugen.

Spätestens im dritten Satz kommt in den meisten Artikeln, die sich mit Ray J befassen, der Hinweis darauf, dass er der (kleine) Bruder von Brandy ist. Das nervt nicht nur ihn, das nervt auch mich. Was bei Erscheinen seines Debütalbums ein sinnvoller Hinweis war (vor allem, weil sein Gesang dem seiner Schwester damals ähnelte) hilft heute kaum noch weiter. Ray J ist als Künstler ein gutes Stück gewachsen, dafür hatte er ja auch einige Jahre Zeit. Die Pause seit dem 2001er „This Ain’t A Game“ sollte ursprünglich nicht so lange wären, doch die Veröffentlichung von „Raydiation“ wurde gleich mehrfach verschoben: vom Herbst 2004 in den März, April, Juni, Juli und schließlich auf September 2005.

Hin und her hieß es auch bei der Frage nach der ersten Single: Zuerst war „Keep Sweatin’“ ausgewählt und Ray J kann von Glück reden, dass er sich das noch einmal überlegt hat. Wie kein zweiter Track auf „Raydiation“ klingt dieser Song wie einer aus dem Vorgängeralbum. „Quit Actin“ – geschrieben, produziert und mit Feature von R. Kelly – zeigt Ray J zwar als deutlich als R&B-Sänger (was ihm selbst sehr wichtig war), doch auch hier war es besser, dass er sich dann doch nicht dafür entschieden hat, klingt diese Nummer doch zu sehr nach – oh Wunder! – R. Kelly und bietet Ray J nicht genügend Raum, sein eigenes Profil hörbar werden zu lassen. „One Wish“ stellt nun eine gute Wahl dar, denn mit diesem Slow Jam kann Ray J nicht nur zeigen, was er kann, sondern auch endlich den Imagewechsel herbeiführen – vom R&B-Teenager zu einem jungen, ernstzunehmenden Erwachsenen. Das ausgesprochen coole Cover unterstützt sein neues Image leider nicht, aber was soll’s. Warum sollten nur Frauen ihre körperlichen Reize einsetzen, um die CD-Käufer zum Zugreifen zu überreden?

An diesem Album ist deutlich zu sehen, dass der Einsatz von Top-Produzenten Licht- und Schattenseiten hat. Die Produktion ist durchgängig gut, auch wenn weniger Rundschliff mehr gewesen wäre. Wo Rodney Jerkins seine Finger im Spiel hatte, klingt es typisch nach Darkchild-Sound, R. Kelly bringt den großartigen R. Kelly-Sound und Timbaland hat „Unbelieveable“ ist sowieso mein Favorit. Trotzdem bin ich froh, dass Ray J, nachdem er Tim Mosley, der zufällig im Nachbarstudio arbeitete, ihn zwar beeindrucken und zu einer Zusammenarbeit bewegen, sich am Ende aber nur einen der vier von Timbaland angebotenen Beats leisten konnte. Für gute Positionen in den Charts sind diese Regenmacher eine gute Unterstützung, sie sollten jedoch nicht das ganze Songmaterial eines Albums verantworten, damit genug Raum für künstlerische Entwicklung bleibt und nicht alle erfolgreichen Alben eines Jahres zu ähnlich klingen.

Exemplarisch für seine gute Entwicklung ist der autobiografische Schluss-Track „Centerview“, in dem Ray J davon erzählt, wie schlecht er mit 12 Jahren gefühlt hat. Er sah sich als Verlierer, allen voran Brandy aber auch seine Freunde erschienen ihm erfolgreicher zu sein und auch seine Mutter kümmerte sich – so erlebte er es zumindest – vor allem um seine erfolgreiche Schwester. Verse wie „I was young and dumb“ hätten wir früher nicht von ihm gehört.

Ganz unerwähnt braucht seine Schwester Brandy nicht zu bleiben, hat sie doch bei „War Is Over“ mitgesungen (Kann es da Zufall sein, dass der Song mit den Worten „My brothers and sisters“ beginnt?) und seine Firma Knockout Entertainment finanziert. Auch zu hören sind Mya beim Duett „Sexy“ (aus dem man mehr hätte machen können, so erinnert es an eine Klang-Collage) und R. Kelly, Timbaland sowie Fat Joe.

FAZIT: Lies der Vorgänger „This Ain’t A Game“ genug sanfte Tracks vermissen, stimmt auf „Raydiation“ die Mischung. Die Club-Tracks sind nicht schlecht, doch der neue, erwachsene Ray J überzeugt mit Emotion und Tiefe.

Künstler: Ray J | Album: Raydiation | Label: Sanctuary (rough trade) | VÖ: 28. April 2006

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Oliver Springer gehört neben Jörg Wachsmuth zu den Gründern von rap2soul. Er lernte Hörfunk ab 1994 bei JAM FM und moderierte dort fast 12 Jahre. Später war der ausgebildete PR-Berater er als Pro-Blogger tätig. Gemeinsam mit Wachsmuth entwickelte Springer den Digitalradiosender PELI ONE - Dein neues Urban Music Radio, bei dem er seit 2018 den Nachmittag in der Drive Time moderiert.

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