Ghostface – The Pretty Toney Album

Im Falle des Wu-Tang Clans ist schwer zu sagen, ob sie als Gruppe oder mit ihren ganzen Solo-Karrieren mehr für Hip-Hop geleistet haben. So viele Alben, wie sie einzeln jeweils schon veröffentlichen konnten, ist es möglich, die Sache auch so sehen, dass der Wu-Tang Clan ihr Sprungbrett ins Rap Game war.

Ghostface, der inzwischen auf das Killah verzichtet, hat sein viel bewundertes „Ironman“ immerhin schon 1996 herausgebracht. In die ganze Diskussion, ob er seinen Stil nun verbessert oder „verwässert“ hat – oder ob er diesem gar treu geblieben ist – mag ich mich gar nicht einmischen. Für mich ist klar: „The Pretty Toney Album“ ist überhaupt – nicht nur in seinem Genre – einer der spannendsten Longplayer in 2004.

Dennoch enthält „The Pretty Toney Album“ auch Tracks, die’s nicht gebraucht hätte: Nehmen wir „Tush“, bei dem Missy Elliott dabei ist. Nichts gegen Missy, im Gegenteil, sie hat meine größte Bewunderung! Aber erstens war sie auch schon mal besser, und zweitens passt sich dieser Song in den Rest des Albums nicht gut ein. Die meisten Lieder sind „auf alt“ produziert, mit Soul-Samples ausgestattet oder so gemacht, dass sie klingen, ob sie mit ganz einfachem Equipment hergestellt worden wären; ein bisschen Old School-Feeling und – wenn’s das gäbe: Anti-Glamour. Das Wort brauch’ ich, um es ganz deutlich von der Mehrzahl aktuell erfolgreicher Hip-Hop-Alben abzugrenzen. Ihr wisst schon: Musik von Leuten, bei denen man das Gefühl hat, dass die sich nur als Rapper verkleiden (wobei das Ergebnis trotzdem Spaß bringen kann, so isses ja nich’!). Ghostface hingegen wirkt authentisch.

So irritiert auch der Track mit Musiq und K. Fox nicht: „Love“ ist eine sanfte, moderne, gefühlvolle Nummer, die einfach ein gutes Gefühl bringt und die CD entspannt abschließt. Weitere Gäste sind Jadakiss (beim sehr gelungenen „Run“), Sheek Louch und Styples P. und…das war’s auch schon! Mit Vocals ist kein Wu-Tang Member auf „The Pretty Toney Album“ vertreten, doch keine Bange, Ghostface packt das locker alleine!

Was diesen Longplayer so interessant macht, ist, dass er so abwechslungsreich rüberkommt – und innovativ, wobei man das aufs erste Hören vielleicht nicht so empfinden mag, weil sich Ghostface vom Sound teilweise weit in die Rap-Geschichte zurückgewagt hat. Überhaupt musste ich mich erst ein wenig in den Stil hineinhören, weil diese CD eben nicht so klingt, wie das Gros aktueller Produktionen. Beim dritten oder vierten Durchgang treten dann die Feinheiten ins Bewusstsein, dann merkt man, dass die Produktion eben doch auf der Höhe der Zeit ist.

Bleibt festzuhalten, dass ich sehr froh bin, neben den vielen laschen, träge vor sich hin rappenden Künstlern hier wieder jemanden zu hören, der mich mit seinem heftigen Sound mitreißt.

Künstler: Ghostface | Album: The Pretty Toney Album | Label: Def Jam Rec. | VÖ: 4. Mai 2004

Über Oliver Springer 339 Artikel
Oliver Springer gehört neben Jörg Wachsmuth zu den Gründern von rap2soul. Er lernte Hörfunk ab 1994 bei JAM FM und moderierte dort fast 12 Jahre. Später war der ausgebildete PR-Berater er als Pro-Blogger tätig. Gemeinsam mit Wachsmuth entwickelte Springer den Digitalradiosender PELI ONE - Dein neues Urban Music Radio, bei dem er seit 2018 den Nachmittag in der Drive Time moderiert.

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