Proof – I Miss The Hip Hop Shop

Seine D-12-Mitgliedschaft nutzt Proof auf seinem Soloalbum nicht mal ansatzweise aus. Vielleicht gefällt mir „I Miss The Hip-Hop Shop“ deshalb so gut, denn ein Fan von D-12 bin ich wirklich nicht. Insofern mag ich auch Empfehlungen nicht verstehen, die vor allem D-12-Fans als zufriedene Käufer von „I Miss The Hip-Hop Shop“ vermuten. Proof zeigt nicht nur einen eigenen Stil, sondern überzeugt vor allem mit der Präsenz seiner Stimme.

Proof – I Miss The Hip Hop Shop (Cover)
Proof – I Miss The Hip Hop Shop (Cover)

Einen Geschwindigkeitsrekord stellt er beim Rappen wirklich nicht auf, sein Flow ist eher von einer entspannten Souveränität und ruhiger Kraft. Relaxt und insgesamt doch recht grimmig scheint er die Reime nur so hinauszuspucken.

Damit ist „I Miss The Hip-Hop Shop“ kein Album für das Party-, sondern fürs Hip-Hop-Publikum, das sich auch gern mal bewusst auf die Musik konzentriert und sich ganz von der Stimmung einfangen lässt. Ebenso wenig solltet Ihr “I Miss The Hip-Hop Shop“ für einen Abend mit Eurer Freundin / Eurem Freund auflegen. Überhaupt ist der Sound zu komplex und kräftig zum Nebenherhören.

Hier ein Vorschlag, wie Ihr größtmöglichen Genus aus dieser Scheibe herausholen könnt: Auf einen grauen, dunklen Tag mit Nieselregen warten, dann Kapuzenshirt anziehen, CD in Euren tragbaren Player einlegen und starten, Knopfhörer ins Ohr drücken oder Kopfhörer aufsetzen, Kapuze so tief ins Gesicht ziehen, dass Ihr gerade noch gefahrlos die Straße überqueren könnt und dann los ins heruntergekommenste Viertel Eurer Stadt fahren (natürlich nicht mit Eurem Luxus-Geländewagen, sondern mit der S-Bahn).

„I Miss The Hip-Hop Shop“ ist der richtige Soundtrack für einen Tag in Eurem Leben, an dem die Sonne nicht scheint – zumindest für Euch nicht. Auch bei den Gästen geht Proof hier einen eher unerwarteten Weg: Selbst sein Promatic-Partner Dogmatic (Promatic = Proof + Dogmatic) ist nur bei einem einzigen Track („Nowhere Fast“) zu Gast. Neben ihm auf der Feature-Liste stehen Kareem Riggins, Amp Fiddler, Journalist, MU, T-Flame, Fatt Father, 1st Born, DJ Premier, Famous, Reef, Killa Khann, prod. Kay Dee.

Es gibt also kaum einen Track, den Proof alleine bestreitet, was einerseits schade ist, da Proof auch für sich alleine locker überzeugt, doch andererseits auch nicht stört, weil es doch Proof ist, der die meisten Tracks klar dominiert. Minusmäßig wirkt dagegen eine gewisse Überladenheit einzelner Tracks wie „Neil Armstrong“. Das ist zugegebenermaßen eine Frage meines persönlichen Geschmacks, weil ich an diesem Punkt besonders empfindlich bin.

Insgesamt ist „I Miss The Hip-Hop Shop“ wegweisend (wenn es nach meinen Wünschen geht) dafür, wohin sich Hip-Hop entwickeln sollte. „Rückwärts?“ mag manch einer fragen, und ja: Der Stil von Proof kommt erstaunlich klassisch und zuweilen etwas oldschool-orientiert rüber. Ich möchte es lieber „bodenständig“ nennen, „solide“ trifft es auch ganz gut.

Wer weiß, wie sich seine D-12-Zugehörigkeit auf seine Karriere auswirken mag – da kann noch alles passieren! – in der „Band von Eminem“ zu spielen, könnte ihn auch ganz unabhängig vom Können zum großen Abräumer machen. Doch blicken wir nur auf die Musik, werdet Ihr mir vermutlich zustimmen: Das ist nicht der Sound für eine Blitzkarriere, nicht der, den Millionen Menschen kaufen werden. Dafür ist er eher zeitlos und wird nicht wenige Hip-Hop Fans auch in 5 oder 10 Jahren noch begeistern können.

Künstler: Proof | Album: I Miss The Hip Hop Shop | Label: Amalgam / Groove Attack | VÖ: 28. Juni 2004 | Album des Monats: August 2004

Über Oliver Springer 339 Artikel
Oliver Springer gehört neben Jörg Wachsmuth zu den Gründern von rap2soul. Er lernte Hörfunk ab 1994 bei JAM FM und moderierte dort fast 12 Jahre. Später war der ausgebildete PR-Berater er als Pro-Blogger tätig. Gemeinsam mit Wachsmuth entwickelte Springer den Digitalradiosender PELI ONE - Dein neues Urban Music Radio, bei dem er seit 2018 den Nachmittag in der Drive Time moderiert.