R. Kelly Prozess: Widersprüche bei Zeugenaussagen

Heute, am Donnerstag den 22.Mai begann der dritte Tag im Prozess mit einem Vorfall, von dem ich zuerst berichten möchte: Laut Gerichtsregeln darf niemand mit der Jury reden, im Gerichtsgebäude fotografieren etc.

Vor Beginn der Verhandlung wurde eine schwarze Frau in Handschellen vor Richter Gaughan geführt, weil sie im Flur des 5.Stocks des Gerichtes, wo der R. Kelly-Prozess stattfindet, einmal laut und einmal leise“Free R. Kelly“ („Freiheit für R. Kelly) gesagt hat, als die Jury an ihr vorbeigeführt wurde.

Richter Gaughan, der der vor ihm stehenden Frau kaum ins Gesicht gesehen hat, ließ sie daraufhin ins Gefängnis bringen, die Verhandlung gegen sie wegen Missachtung der Gerichtsregeln wurde auf einen Termin im Juni gelegt, bis dahin bleibt sie in Haft, die Kaution beträgt 50 000 Dollar. Ich muss euch sagen, ich war wirklich entsetzt, wie hart dort mit den Menschen verfahren wird.

Auch am dritten Tag der Verhandlung rief die Staatsanwaltschaft mehrere Zeugen auf, die um 1997 mit dem angeblichen Opfer Reshona Landfair/Edwards bekannt waren. Erst die Mutter einer Freundin, die in Reshonas Basketball Team war, dann die Tochter.

Die Fragen und Antworten verliefen ebenso stereotyp wie gestern, alle diese Bekannten gaben an, im Dezember 2001 das fragliche Video bei Freunden gesehen zu haben, leider können sie sich nicht mehr erinnern, welcher Freund das war, und ja, sie hätten Reshona und R. Kelly erkannt. Alle sagten aus, das Alter von Reshona an der Frisur zu erkennen, die sie damals hatte, eine so genannte „mullet“-Frisur.

Beim Kreuzverhör durch die Anwälte wurden diese Angaben dann eingeschränkt, da sie nicht genau sagen konnten, wann Reshona die besagte Frisur machen ließ und ob der Körper der im Video agierenden Frau dem Körper entspricht, den Reshona zu dieser Zeit hatte, besonders was die Entwicklung der Brüste und Geschlechtsteile betrifft.(Die junge Frau in dem Video, das am ersten Tag des Prozesses trotz Protesten der Staatsanwaltschaft und der Anwälte gezeigt wurde, hat deutlich entwickelte Geschlechtsmerkmale und keinesfalls einen kindlichen Körper.)

Die Aussagen der Zeugen heute waren nahezu deckungsgleich mit allen Aussagen der Zeugen der Staatsanwaltschaft vom Dienstag und Mittwoch, alle haben bei Befragung durch Ermittler Reshona und R. Kelly auf Standfotos erkannt, die ihnen mit der Frage „Ist das Reshona, ist das R. Kelly?“ vorgelegt wurden.
Interessanter war dagegen die Aussage von Stephanie Edwards alias Sparkle, die heute im Zeugenstand auftrat: Sie gab unter Eid an, im Dezember 2001 einen Anruf von einem Anwalt namens Buddy Meyers erhalten zu haben, in dem Meyers ankündigte, einer seiner Mitarbeiter käme sie gleich zuhause besuchen mit einem Video, das sie sich ansehen müsste.

Wenig später sei dann ein hispanic-mexikanisch aussehender Mann an der Tür gewesen, der sofort und wortlos in ihre Wohnung trat und das Video in den Rekorder schob. Dann hätte sie darauf Reshona und R. Kelly erkannt, an der Frisur erkannt, dass Reshona zu der Zeit 14 gewesen wäre und dann hätte sie ihren ältesten Bruder, aber nicht den anderen Bruder, der der Vater von Reshona ist, angerufen. Der Videobote hätte die Wohnung verlassen und das Video mitgenommen, sie hätte nie eine Kopie des Videos besessen und auch kein solches Video ihrer Familie vorgespielt.

Das widerspricht den Zeugenaussagen ihres Bruders und dessen damaliger Frau, der Polizistin, die gestern unter Eid aussagten, dass Sparkle das Video zu einem Familientreffen mitbrachte und abspielte.

Auch auf Befragen der Anwälte leugnete sie den Besitz des Videos, sie gab aber zu, im Dezember 2001 sowohl mit Barry Hankerson, R. Kellys ehemaligem und gefeuerten Manager, und dem Reporter Jim DeRogatis gesprochen zu haben. Worüber genau, wurde nicht klar, da sie sich nicht mehr erinnern könnte.

Während des ganzen Verhörs wischte sich Sparkle immer wieder demonstrativ mit einem Taschentuch über die Augen, verlor dann allerdings die leidende Rolle sehr schnell, als Anwalt Genson sie vernahm. Sie wurde steckenweise wütend, als er ihre Darstellung infrage stellte, besonders weil die Polizei von ihr erst sehr viel später, wenn überhaupt, informiert wurde. Sie konnte auch nicht erklären, warum sie nicht zuerst mit Reshonas Eltern, sondern mit deren Onkeln und Tanten sprach.

In einer Verhandlung unter Eid in 2002 gab sie an, niemals irgendwelche ungebührlichen Verhaltensweisen R. Kellys ihrer Nichte gegenüber wahrgenommen zu haben, im Gegenteil, sie selber habe ja R. Kelly zu Reshonas Paten bestimmt und von R. Kelly musikalischen Beistand für Reshonas damalige Band „4 The Cause“ erbeten. Sie selbst hatte seit 1998 mit R. Kelly zusammengearbeitet, sie sagt, sie hätte sich bei Produktion ihres zweiten Albums freiwillig von R. Kelly getrennt, andere Quellen geben an, sie wäre von R. Kelly gefeuert worden.) Bei derselben Frage heute sagte sie dasselbe, wollte aber einschränken, dass sie doch kleine Anzeichen bemerkt hätte, nahm das aber sofort zurück, nachdem ihr mit dieser Einschränkung ein Meineid im Jahr 2002 nachgewiesen worden wäre.

Alles sehr unübersichtlich und kompliziert, besonders was den Zeitrahmen des Erscheinens des Videos und seine Verteilung betrifft, denn Sparkle gab heute auch an, dass sie das besagte Video nicht nur durch den Einsatz des Boten von Anwalt Buddy Meyers gesehen hat, sondern auch im Büro des Journalisten Jim DeRogatis von der Chicago Sun Times.

Ob die Verwicklung von Jim DeRogatis in den Fall geklärt werden kann (er schrieb den Lawinen-auslösenden Artikel über R. Kelly und das Video im Februar 2002) wird vielleicht morgen geklärt werden, dann erscheidet Richter Gaughan, ob er zum Fall vernommen werden kann oder ob er als Mitglied der Presse zu dem Vorfall die Aussage verweigern kann.

Die Berichterstattung in den amerikanischen und weltweiten Medien ist weiterhin sehr fragwürdig, alle geben immer an, alle Zeugen hätten Reshona und R. Kelly identifiziert, erwähnen aber nur selten die Widersprüche, die von den Anwälten R. Kellys aufgedeckt werden.

Ich berichte weiter jeden Tag direkt aus Chicago.
Beate Dyballa, übrigens die einzige deutsche Journalistin bei der Verhandlung