Toni Braxton – Libra (weitere Kritik / 2. Besprechung)

Sie kann es noch wie früher! Für ihre Fans ist das eine klare Empfehlung, sich „Libra“ zu kaufen, für diejenigen, die „mainstreamigen“ R&B noch nie leiden konnten, heißt das, weiter auf Abstand zu bleiben.

Wer auf musikalische Weiterentwicklung gehofft hatte, wird noch weiter warten müssen. Toni Braxton bleibt den Sounds treu, die sie zu einer der erfolgreichsten Sängerinnen der 90er machten. Ist das schlecht? Ist das gut? Konsequent vielleicht…Toni Braxton macht das, was sie sehr gut kann, was schon mal besser ist, als trendfixiert herumzuexperimentieren.

„Libra“ ist damit kein modernes Album, sondern eine Neubelebung ihres auch damals schon konservativen Sounds. Auf zurückhaltende Weise ausdrucksstark und sehr solide produziert, geht „Libra“ punktgenau zu Herzen. Kunst ist eben nicht nur das Kreieren von Neuem, sondern auch das Perfektionieren des Guten.

Toni Braxton – Libra (Cover)
Toni Braxton – Libra (Cover)

Konservativ sage ich auch deshalb, weil die meisten Lieder – damals wie heute – klar strukturiert sind und kaum Töne enthalten, die nicht unbedingt erforderlich sind. Mit solch sparsamer Instrumentierung einen „vollen“ Eindruck zu erzeugen, erfordert eine überdurchschnittliche Stimme wie ihre. Mag sein, dass sie stimmlich bei vielen Songs hinter ihren Möglichkeiten bleibt, doch gefällt mir das wiederum besser, als wenn jemand alle Register zieht, bloß er oder sie es kann.

Der Eindruck, dass da mehr drin wäre, ergibt sich bestimmt auch daraus, dass „Libra“ zum größten Teil aus langsamen Songs besteht. Dennoch: Die schnelleren Tracks wie die erste Single „Please“ sind zwar gut, doch bei den Slow Jams zeigt Toni Braxton einmal mehr, dass sie auf diesem Gebiet eine der Allerbesten ist. Lieder wie das mit akustischer Gitarre begleitete “Shadowless” gehen direkt unter die Haut und “Trippin’ (That’s The Way Love Works“) treibt mir auf der Stelle die Tränen in die Augen.

Auf den schönen Schmerz dieser Kunst will oder kann sich nicht jeder einlassen, das ist klar. Mit Blick auf die Künstlerin ist mein Votum indes genauso klar: Wer so auf der Klaviatur der Gefühle seiner Zuhörer zu spielen vermag wie sie, sollte diese Kunst auch ausüben.

Weitere Besprechungen zu diesem Album: 1. Besprechung | 2. Besprechung | 3. Besprechung

Künstler: Toni Braxton | Album: Libra | Label: Edel Records | VÖ: 21. Oktober 2005 | Album des Monats: November 2005

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Oliver Springer gehört neben Jörg Wachsmuth zu den Gründern von rap2soul. Er lernte Hörfunk ab 1994 bei JAM FM und moderierte dort fast 12 Jahre. Später war der ausgebildete PR-Berater er als Pro-Blogger tätig. Gemeinsam mit Wachsmuth entwickelte Springer den Digitalradiosender PELI ONE - Dein neues Urban Music Radio, bei dem er seit 2018 den Nachmittag in der Drive Time moderiert.